Ein Zuwort von TO Immisch
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Die Bilder dieser Ausstellung sind wie ihr Titel "VOR-BILDER" mehrdeutig im mehrfachen
Sinne: Vorbilder für die hier gezeigten Bilder können Ikonographien sein, konventionalisierte
Bildgehalte wie Bildformeln, können ältere, frühere Bilder oder konkrete Orte sein.
Darüber hinaus können Vorbilder auch Menschen meinen - Künstler, die als Vorbild
gewählt oder einfach Bekannte, die wie und wo auch immer, ein Vorbild abgeben. Diese
Ausstellung zeigt ganz deutlich, was bei Kunst immer eine Rolle spielt, aber
eben nicht immer so ersichtlich ist: Kunst kommt (auch) von Kunst, Bilder entstehen
aus Bildern, Bilder generieren Bilder.
Diese Bilder selbst sind, gerade indem sie so verschieden auf so unterschiedliche Vorbilder
anspielen, auch Nachbilder. Ihr gemeinsames Thema: das Verändern des Bildes,
fast, bis zu seinem Verschwinden. Ihr gemeinsamer Charakter besteht darin,
weniger Prozessresultate als Prozessstufen zu sein. Bei beiden Künstlern wird
der Prozess der Bildgewinnung, der jedes Mal ganz ähnlich verläuft, jäh an
bestimmten Punkten abgebrochen. Beide variieren also ein Konzept, dem der
Abbruch selbst eingeschrieben ist. Und: beide arbeiten seriell, erzeugen einen neuen, imaginären Raum aus Bildern, wie
bemalte Leinwände und bearbeitete Photographien. Das Entscheidende liegt,
wie so häufig, dazwischen.
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Anne Rose Bekkers Gemälde-Installation "Running Out" (wieder schön doppeldeutig: ausrinnen oder rausrennen) wendet
sich einem markanten Moment der Kunstgeschichte zu; dem Aufbruch der Moderne.
Malewitschs Schlüsselbild "Schwarzes Quadrat auf weißem Grund" von 1913 ist der Kreuzungs-
und Nullpunkt im Koordinatensystem von Zeit und Geist und hat das Tafelbild an
ein Ende getrieben, von dem aus nur ganz neu, ganz anders angefangen werden
sollte. Diesen Aufbruch nun bricht Bekker selbst auf: als geschlossene hermetische
Form - und die Farbe läuft aus; als einmaliges Objekt und Ereignis - und die
Serie läuft los.
Das Vorbild war gedacht und gemacht als Endpunkt von Malerei und als Ausgangspunkt
einer neuen Kunst, die über Malerei hinaus wollte: Malewitschs Gemälde
gleichsam als Startpunkt und Durchgangsstation beim Entwerfen und Gestalten
einer neuen Welt, ja eines neuen Kosmos (und das bedeutet ursprünglich Welt, Ordnung
und Schmuck!).
So unbescheiden, ja vermessen ist Kunst heute nicht mehr. Geblieben ist aber, das
Denken und Arbeiten als Prozess auszuweiten auf das Werk, verstanden als Zustände
und Stationen während eines Prozesses, dem nachzuschauen, nachzudenken und
nachzugehen uns aufgegeben ist, als Angebot.
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Jan Bauer benutzt den Zusammenhang, dass
Photographie als (technisch vermitteltes) Abbild von allem Anfang an
überlagert ist vom Bild, vom Bild als Komposition prägnanter Gestalt und
Bedeutungsträger - eben über das hinaus, was es zeigt - und als subjektive Position.
Von-allem-Anfang-an ist hier auch ganz gegenständlich gemeint: Bauers
Diptychon [siehe Abbildung oben links] verarbeitet das älteste erhaltene Photo überhaupt. (Joseph Nicephore
Niepce nahm es 1826 von seinem Arbeitszimmer aus auf).
Seit dem Paradigmenwechsel vom analogen zum digitalen Bild ist die
chemisch-physikalische Verbindung zwischen Gegenstand und Bild verloren, das
"Abdruckhafte" der Photographie weg. Seit dieser medialen Revolution ist das
Medium ganz und gar die Botschaft (Marshall McLuhan hat doch Recht) - die totale
Manipulation konstituiert die Bilder. Bauers Serie als rabiate Resterampe visueller
Auslöser stellt Fragen: Sind das Bilder, die zu ihm sagen: "Follow Me"? Oder, verfolgt
er Bilder durch den Wald der Möglichkeiten und Varianten digitaler Manipulation -
zu welchem Ende, zu welchem Ziel?
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In den Werken beider Künstler geschieht ein Bilder-Recycling ganz im Sinne des
Wechsels von der Moderne zur Postmoderne in den 70er Jahren: Variation statt Innovation.
(Das gab es zwar als Kunstprinzip immer auch, jetzt ist es - wieder mal - das
dominierende Procedere).
Noch eines zur Nachbild-Vorbild-Spannung: für den emotionalen, ikonischen und
imaginären Gehalt und Gewinn der Bilder ist es weder nötig, noch wichtig zu wissen
oder zu erkennen, was ihr Ausgangsbild war. Die mögliche Macht der Bilder muss sich entfalten auch -
und tut es vielleicht gerade - ohne dieses Vorwissen. Die Reaktion auf sie mag so unmittelbarer, vielleicht
tiefer sein.
TO Immisch ist Leiter der Sammlung Photographie am Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalt,
Staatliche Galerie Moritzburg, Halle/S.
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